Trotz Regenschauer schlängele ich mich auf meinem Fahrrad durch den Wiener Verkehr zum Dom Museum Wien, welches sich drekt neben dem Stephansdom befindet. Das Ausstellungsplakat zeigt einen Arm, der zärtlich zwei Handvoll Erde hält: eine schöne Metapher für das Thema der Ausstellung, die Beziehung zwischen Mensch und Umwelt.

Mich beeindruckt der Facettenreichtum, die Vielfalt an Techniken und Medien und der grosse zeitliche Bogen. Durch historische Buchmalerei bis hin zu gesellschaftspolitischen zeitgenössischen Videos werden ganz unterschiedliche Naturvorstellungen und das Verhältnis von Natur und Mensch gezeigt.

Fasziniert hat mich als erstes ein Stück Holz, das sich scheinbar an einem Maschendrahtzaun festklammert und gleichzeitig darin gefangen ist. Die Arbeit heisst D’après une histoire vraie von Michèle Pagel von 2016. Nachdem der Baum gefällt worden war, hat die Künstlerin das Überbleibsel aus einem Schulhofzaun herausgeschnitten. Weil es an ein Tier oder einen Menschen erinnert, bin ich betroffen und identifiziere mich damit. Das Gefühl, hängen zu bleiben, eingeengt zu werden oder keine Luft zu kriegen, kommt in mir hoch.
Die Zeichnung habe ich mit Fineliner ausgeführt. Der zarte Strich kontrastiert mit der implizierten Gewalt des Objekts.

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Captured, Fineliner auf Papier, 2021
Nach Michèle Pagels D’après und histoire vraie von 2016

Remainings, Fineliner und Marker auf Papier, 2021
Nach Mark Dions Game Bird Group (Tar and Feathers) von 2006

Game Bird Group (Tar and Feathers) von Mark Dion aus dem Jahr 2006 beängstigt. Wie eben mit Teer übergossen erscheint der Baum mit den daran hängenden ausgestopften Vögeln. Der Teer erstickt das Leben und erinnert mich an die seit der Antike bekannte Strafe des Teerens und Federns, was die Verurteilten bildlich «vogelfrei» machte. Ächtung schwingt hier mit und verweist auf die Verachtung und Zerstörung des natürlichen Ökosystems.
Für die Skizze wählte ich zusätzlich zum Fineliner einen schwarzen Marker und einen Bildausschnitt, der den rechten Vogel um einen Kopf kürzer macht.

In einem Seminar erzählte mir eine Kunstvermittlerin, welche Projekte sie mit Besuchenden umsetzt. Die Arbeit von Regula Dettwyler ist ein schöner Ausgangspunkt. Die Künstlerin zerlegt Plastikblumen in Einzelteile, ähnlich wie wir sie aus Herbarien kennen, und aquarelliert sie. Statt eines lateinischen Namens benennt sie die Malerei beispielsweise «Narzisse magenta/grün» mit dem Zusatz «Made in China». Dieser Ansatz lädt Besuchende ein, in einem Workshop eigene Pflanzen und Blumen zu kreieren, indem sie Einzelteile neu zusammenstecken und benennen. Diese Auseinandersetzung sensibilisiert für das Spannungsfeld natürlich und künstlich und regt an, eigene Utopien zu realisieren.